INSELKIND
112 TAGE IRLAND
“Why do you go away? So that you can come back. So that you can see the place you came from
with new eyes and extra colors.
And the people there see you differently, too.
Coming back to where you started
is not the same as never leaving.”
- Terry Pratchett
IRLAND
HAS MY HEART
Geschriebene Prüfungen und eine leer geräumte Bude. Und gepackte Koffer. Es ist das Ende meines Inselabenteuers. Zeit, um Abschied zu nehmen. Ein letzter Blick in meine leere Wohnung. Dann schließe ich vorsichtig die Tür, sperre schweren Herzens ab und mache mich auf den Weg. Leichter Nieselregen hängt in der Luft und graue Wolken ziehen am Himmel vorbei. Die Stimmung ist mehr herbstlich als weihnachtlich. Ich laufe weiter. Ein letztes Mal quer durch die Stadt zum Busbahnhof gehen, ein letztes Mal im Supermarkt Proviant für die Fahrt einkaufen und ein letztes Mal mit der Lieblingskassiererin über Belangloses plaudern. Und dann ist es Zeit nach Hause zurück zu kehren. Ganz nach Hause.
auslandssemester IRLAND
HOW IT BEGAN
Aber beginnen wir vorne. „Raus aus allem“, denke ich mir im Januar 2019 und drücke auf den Button „Auslandssemester beantragen“. Wochen vergehen, Formulare werden ausgefüllt und Dokumente eingereicht. Und dann ist es so weit und ich sitze plötzlich am Flughafengate. Mein Blick fällt auf die Anzeigentafel. Dublin, Irland. Verheißungsvolle weiße Schrift auf blauem Hintergrund. Abenteuer.
Es dämmerte schon als wir eines Nachmittags an einem kleinen Wasserfall ankamen. Und weit und breit keine öffentlichen Verkehrsmittel. Das kleine Café mit Kühlschrankmagneten und Postkarten war das einzige, was es hier an Infrastruktur gab. Unsere einzige Hoffnung war der junge Ire hinter dem Tresen, den wir bettelnd um eine Mitfahrgelegenheit zurück in die Stadt fragten. Auf die Erklärung wir seien zu Fuß hier, folgte nur ein ungläubiges: „Are you mad?!“ Upsi.
Von Dublin aus waren es noch zwei Stunden mit dem Bus in die neue Heimat Sligo. Die knapp 20.000 Einwohner stehen in gesundem Verhältnis zu den 150 Pubs im Ort. Was bei uns übrigens als Kleinstadt gilt, stellt hier zu Lande die größte Stadt im Nordwesten der Republik Irland dar. Das Umland besteht aus Wiesen in üppigem grün. Das Meer liegt in unmittelbarer Nähe. Kleine Cafés an der Promenade. Unsere Streifzüge durch die Umgebung von Sligo werden mit jedem mal weiter. Vielleicht haben wir es auch das ein oder andere mal unterschätzt.
Sligo - Irland
Pro Tipp: Denkt dran, dass dort mit nordirischen Pounds bezahlt wird. Nicht mit britischen. Oder gar Euro. Nicht, dass euch das erst beim bezahlen auffällt. So wie das bei jemand anderem der Fall war.
Auch Nordirland hat durchaus seinen Charme. Der Giant’s Causeway beeindruckt mit einzigartigen Felsformationen aus getrocknetem Lava. Mittlerweile wissen wir, dass die Iren und ihre Nachbarn keine großen Läufer sind. Daher gibt es einen Parkplatz direkt an der Sehenswürdigkeit. Wir wählten aber die die Route von Bushmills aus. Dort beginnt ein kleiner Wanderweg zum Giant’s Causeway. Immer entlang der Klippen. Meiner Meinung nach die schönere Alternative. Zurück ging es dann mit dem Bus.
Giant’s Causeway - Nordirland
Der Ausflug nach Tory Island begann mit der Überfahrt über die raue See. Wir checkten im AirBnB ein, bekamen aber nicht mal einen Schlüssel. Wozu auch? Alle hier kennen sich ja. Das Abendessen brachten wir vom Festland mit, da der einzige Kiosk der Insel schon geschlossen hatte. Den Abend wollten wir im Inselpub ausklingen lassen. Argwöhnisch betrachteten uns die fünf alteingesessenen Iren im Eck als wir den Raum betraten. Dass der Abend mit genau denen bei einer Partie Billard und alten irischen Liedern enden würde, das hätten wir auch nicht gedacht. Toraigh musst be visited to be understood, sagte der Pubbesitzer zu mir. Das unterschreibe ich zu 100 Prozent.
Tory Island, zu irisch „Toraigh“. Was klingt wie eine Figur aus Der Herr der Ringe bedeutet übersetzt so viel wie „Insel der Türme“. Kein Wunder, dass dieses Stückchen Erde am Rande der Welt einen so majestätischen Namen trägt. Das Meer schlägt in regelmäßigen Abständen gegen die schroffen Klippen und umtost das raue Eiland. 100 Menschen leben auf dem 4,3 km langen und 1,5 km breiten Insel. Eine einzige Straße führt längs über das Land. Die Bewohner sind ein ganz eigenes Volk. 12-Jährige Kinder fahren auf der Straße Auto. Weil wer soll schon was sagen? Sogar einen eigenen König gab es bis 2018 auf Tory Island. Während der Rest der Welt auf Fortschritt und Veränderung pocht, steht hier die Zeit still. Abgeschnitten vom Festland gibt es hier eine eigene kleine Welt.
Tory Island - Irland
IRLAND
MEIN FAZIT
Natürlich ist nicht alles gold was glänzt und auch in fremden Ländern kehrt nach und nach Alltag ein. Trotzdem war die Zeit in Irland ein Abenteuer. Der, dessen Herz für die stürmische See und die wilde Natur (und für Guinness) schlägt, der wird hier glücklich sein.